Die Ortsgruppe Freiburg vom Frauenverband Courage gehört zu den Mitunterzeichner*innen eines Offenen Briefs an die Stadt Freiburg zur Corona-Krise. Dieser zeigt auf, wie die Corona-Krise schon vorher bestehende soziale Missstände in der Stadt verschärft hat und fordert Sofortmaßnahmen zum Schutz der Teile der Bevölkerung, die bei den Corona-Paketen von Bundes- und Landesregierenden durchs Raster fallen: Geflüchtete, Obdachlose, Familien und Frauen... Vielleicht wollt ihr diese Initiative auch für Eure Stadt aufgreifen?
Offener Brief an die Stadt Freiburg
Wir sehen die aktuelle Krise, die akut durch die Pandemie des Corona-Virus SARS-CoV-2 verstärkt wird, als Anlass einen Offenen Brief an die Stadt Freiburg zu schreiben.
Während der aktuellen Diskussion der Regierungen, Landes-und Stadtverwaltungen über die Verhinderung der weiteren Ausbreitung des Virus gehen unserer Ansicht nach maßgebliche Punkte zum Schutz der Gesamtbevölkerung unter. Nicht erst jetzt, aber im Moment ganz besonders, werden gesellschaftliche Missstände für die meisten von uns seh-und fühlbar. Viele Missstände werden schon seit vielen Jahren von sozialen Bewegungen thematisiert und deren Änderung eingefordert.
Verschiedenste Menschen, so auch viele von uns, leben in prekären Situationen oder arbeiten in Branchen, die sich seit eh und je in der Krise befinden. Diese treffen die aktuellen Auswirkungen um ein Vielfaches härter.
Sie müssen um ihre gesundheitliche und ökonomische Existenz bangen.
Die Maßnahmen, die aktuell von der Stadt Freiburg getroffen werden, erachten wir als nicht ausreichend, um alle Freiburger Bürger*innen zu schützen. Dazu gehört auch, alle Maßnahmen in ihrer Verhältnismäßigkeit kritisch zu überdenken und ihre Umsetzbarkeit für alle Bürger*innen zu prüfen bzw. weitere Maßnahmen zu treffen, um diese umsetzbar zu machen. Auch Faktoren wie psychische Erkrankungen, die Erhöhung von Suizidalität und die Gefahren, die für Frauen*, Jugendliche und Kinder aus der häuslichen Isolation entstehen, müssen in die Überlegungen einbezogen werden.
Wir denken, dass dies ein wesentlicher Zeitpunkt ist, die folgenden Maßnahmen in der Stadtverwaltung aktiv anzugehen, um Menschen sowohl vor dem Virus als auch vor den Auswirkungen der Krise zu schützen.
1. Öffnung von Hotels, Leerstand und AirBnB Wohnungen
Häusliche Isolation und Quarantäne setzen auch voraus, dass Menschen Zugang zu geschützten Räumen und Wohnungen haben. Wohnungslose sind einer hohen Gefahr der Infizierung ausgesetzt und benötigen sichere Räume. In Notunterkünften ist der Raum begrenzt, dazu halten sich viele Menschen auf engem Raum auf. Viele Wohnungs- und Obdachlose leiden an Vorerkrankungen, chronischen oder Mehrfacherkrankungen und gehören damit ebenfalls zur Risikogruppe. Ebenso ist das Meiden größerer Menschenansammlungen nicht möglich.
Auch Menschen mit Fluchthintergrund muss spätestens jetzt eine dezentrale Unterbringung ermöglicht werden, um sich selbst vor Infizierung auf engem Raum schützen zu können.
Zudem muss eine andere vorläufige Unterbringung für Menschen in sogenannten "wichtigen" Berufen ermöglicht werden, wenn Infizierungen in der Familie oder der WG vorhanden sind.
Ein weiterer Punkt ist, dass in Zeiten häuslicher Isolation auch die häusliche Gewalt an Frauen* zunimmt. Hier gilt es abzusichern, dass Frauen* die Möglichkeit erhalten, sich aus dem häuslichen Umfeld zurückzuziehen und einen Schutzraum erhalten.
Deshalb fordern wir die Stadt Freiburg auf, eine sofortige Verfügung über Hotels, Leerstand und AirBnB Wohnungen zu erlassen und diese zu öffnen.
2. Schutz von Menschen auf der Flucht
In einer Pressemitteilung vom 06.03.2020 hat der Freiburger Oberbürgermeister Martin Horn zugesichert, dass die Stadt Freiburg unbegleitet geflohene Kinder aus den Flüchtlingslagern in Griechenland aufnimmt. Das Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos ist mit derzeit 25.000 Menschen maßlos überfüllt und die Menschen lebensbedrohlichen Risiken ausgesetzt.
Wir fordern eine klare Aufnahmepolitik der Stadt Freiburg, um die Menschen, die gerade den katastrophalen Zuständen in den Flüchtlingslagern und damit auch einem hohen Gesundheitsrisiko ausgesetzt sind, zu schützen!
Wir fordern alle Gemeinderät*innen dazu auf, sich in ihren Parteien auf Bundesebene für die Aufnahme von Geflüchteten und einen sofortigen Stop von Abschiebungen einzusetzen. Auch aus Freiburg dürfen keine weiteren Abschiebungen stattfinden!
3. Städtische Finanzunterstützung
Die aktuelle Krise trifft alle, aber einige schwerer als andere. Um die Lebensgrundlage der Menschen zu sichern, ist es elementar, dass es eine Lohnfortzahlung trotz des Arbeits/Verdienstausfalls gibt. Besonders betroffen sind hier Menschen, die in prekären Verhältnissen arbeiten. Große Betriebe haben meistens Rücklagen angelegt, so dass sie dies ohne Probleme für einige Wochen leisten können. Kleinere Läden, gemeinnützige Organisationen, kulturelle und soziale Einrichtungen und Freiberufler*innen hatten diese Möglichkeit nicht. Hier müssen die Stadt, das Land und auch der Bund einspringen, um das Wegsterben vieler Arbeitsplätze zu verhindern. Dafür können z.B. Solidarfonds ins Leben gerufen werden.
Für viele Menschen gibt es eine finanzielle Abhängigkeit von ihren Partner*innen oder Familienmitgliedern. Problematisch wird diese Abhängigkeit, wenn sie mit Gewalt einhergeht. Nicht für jeden Mensch ist das Zuhause ein sicherer Ort. Deshalb braucht es in dieser Krise finanzielle Unterstützung zum Erhalt und zum Ausbau von Beratungsstellen und Einrichtungen für Frauen*, Kinder und Jugendliche, queere Personen und für alle Betroffene von sexualisierter und emotionaler Gewalt.
Auch Wohngruppen und Stellen von und für Menschen mit Behinderungen benötigen eine besondere Förderung, damit eine bedarfsgerechte Betreuung gewährleistet werden kann. Wir fordern zudem einen barrierefreien Zugang zu allen wichtigen Informationen durch die Stadt Freiburg. Dazu gehört die Berücksichtigung von Menschen mit Sehbehinderungen, die Verfügbarkeit von Informationen in leichter Sprache sowie in den verschiedenen Sprachen, die von Freiburger Bürger*innen gesprochen werden.
4. Zugang und Sicherung notwendiger Infrastrukturen für alle
Durch die Pandemie des Virus stehen zahlreiche Menschen vor einer finanziellen Krise. Kündigungen, Kurzarbeit und die Aussetzungen von Lohnzahlungen führen dazu, dass Mieten nicht mehr gezahlt werden können. Außerdem suchen immer noch zahlreiche Menschen eine Wohnung in Freiburg bzw. haben erst gar keinen Zugang zum Wohnungsmarkt. Diese Menschen sind einem Risiko der Infektion ausgesetzt und stehen potenziell davor obdachlos zu werden. Es braucht hier ein dringendes Eingreifen in die Mietpolitik.
Mieterhöhungen müssen mit sofortiger Wirkung untersagt werden, damit die Bürger*innen der Stadt gerade in dieser schwierigen Situation nicht noch zusätzlich belastet und im schlimmsten Fall obdachlos werden. Aus diesen Gründen fordern wird das Einwirken der Stadtverwaltung in Bezug auf die rückzahlungsfreie Aussetzung von Mietzahlungen, den Einsatz für einen sofortigen Mietendeckel und einen Mieterhöhungsstopp auf Landesebene durch die Stadt Freiburg.
Energie und Wasserzufuhr sind elementar für das Leben. Gerade jetzt, wo ein hygienischer Standard als wichtige Voraussetzung gilt, fordern wir diesen Zugang allen Menschen zu ermöglichen. Die derzeitigen Maßnahmen des Bundes sind hierbei nicht ausreichend. Die Aufschiebung von Zahlungen müssen rückzahlungsfrei organisiert werden. Aus diesem Grund fordern wir die Stadt Freiburg dazu auf, auch im Nachhinein keine Energie-und Wassersperren auszuführen.
Zuhause bleiben ist nicht für jede*n möglich. Gerade Menschen, die ihre Wohnung aufgrund einer Räumungsklage oder Zwangsräumung verlieren, können sich nicht vor dem Virus schützen oder in Quarantäne begeben. Der Verlust von Wohnraum ist eine massive Belastung und darf nicht fortgeführt werden.
Wir fordern deshalb einen sofortigen Stopp von Räumungsklagen und Zwangsräumungen. bleiben ist nicht für jede*n möglich. Gerade Menschen, die ihre Wohnung aufgrund einer Räumungsklage oder Zwangsräumung verlieren, können sich nicht vor dem Virus schützen oder in Quarantäne begeben. Der Verlust von Wohnraum ist eine massive Belastung und darf nicht fortgeführt werden. Wir fordern deshalb einen sofortigen Stopp von Räumungsklagen und Zwangsräumungen.
Sozialer Kontakt zu anderen Menschen genauso wie die Möglichkeit, einen Zugang zu Information und Wissen zu erhalten ist existenziell. Jedoch können sich nicht alle einen Internet-Zugang leisten oder haben Zugang dazu. Um soziale Kontakte weiter aufrechtzuerhalten und sich über die aktuelle Lage zu informieren, ist heutzutage ein Internet-Zugang Grundvoraussetzung dafür. Durch die Schließung von öffentlichen Einrichtungen, Schulen und Cafés ist dieser Zugang derzeit für breite Teile der Bevölkerung, gerade auch für Kinder und Jugendliche, nicht gewährleistet. Die soziale Isolation führt zu psychischen Erkrankungen, denn für viele ist das Zuhause kein sicherer Raum und der Kontakt nach außen lebensnotwendig.
Aus diesem Grund fordern wir einen stadtweiten freien Wi-Fi-Zugang.
Auch im Gefängnis ist die soziale Isolation der Gefangenen seit der Verbreitung des Virus verstärkt. Es gibt keine Kommunikationsmittel für Gefangene. Durch die Pandemie des Virus wurden Besuchsverbote im Gefängnis verhängt. Menschen werden dort noch mehr sozial isoliert. Alle, auch Gefangene, haben ein Recht auf Information und sozialen Kontakt. Aus diesem Grund fordern wir den Zugang zu Kommunikationsmitteln für Gefangene, um mit ihren Familien und Freund*innen in Kontakt zu bleiben.
5. Entprivatisierung und Vergesellschaftung des Pflege-und Gesundheitssektors
Pfleger*innen in Altenheimen, Krankenhäusern und Wohngruppen befinden sich nicht erst seit der Pandemie von Covid-19 am absoluten Limit. Seit Jahren schon kämpfen sie für bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen, die Abschaffung von Fallpauschalen und gegen die massive Unterbesetzung. Derzeit wird den Pfleger*innen moralisch und praktisch einiges abverlangt. Es wird mit hoher Wahrscheinlichkeit zu weiteren Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen kommen. Urlaubssperren, mangelnde Schutzausrüstungen, Überstunden, psychische und physische Überlastung am Arbeitsplatz uvm.. Die einzige Lösung, diesen Zustand zu verändern und darüber hinaus dafür zu sorgen, dass sich die Krise im Gesundheitssektor nicht zusätzlich zuspitzt, sehen wir in einer bedarfsorientierten Politik, die sich an den Interessen der Beschäftigten orientiert.
Wir fordern die Stadt Freiburg dazu auf, die Entprivatisierung und Vergesellschaftung des Gesundheitssektors auf die politische Agenda aufzunehmen. Die Art und Weise, wie sich der aktuelle Zustand in Krankenhäusern und weiteren Gesundheitsbereichen, im Sozial- und Erziehungsbereich, in der Landwirtschaft und im Einzelhandel auswirkt, ist Ergebnis einer Wirtschaftspolitik der Profitorientierung und Privatisierung. Mehr denn je wird deutlich, dass diese gesellschaftlichen Bereiche, allen voran Sorgearbeit und die grundlegende Versorgung der Gesellschaft mit Nahrungsmitteln, elementar für das Bestehen und die Versorgung menschlicher Grundbedürfnisse sind. Über Jahrzehnte wurden diese Bereiche kaputtgespart. Es kann keine Option sein, diese Bereiche im Niedriglohnsektor unter solchen katastrophalen Arbeitsbedingungen weiterzuführen.
Stattdessen erwarten wir, dass auch die Stadt Freiburg, deren Verwaltung und deren Bürger*innen sich in und nach dieser Krise dafür einsetzen, dass der vernünftige Ausbau dieser Bereiche im Sinne aller im Vordergrund steht!
Wir fordern die Stadt Freiburg dazu auf ihrer Verantwortung nachzukommen, diese Maßnahmen zu diskutieren und umzusetzen!
Erstunterzeichner*innen
AK Feministische TheorieN
Antifaschistische Linke Freiburg (IL)
Anna Stamm, Netzwerk für Gleichbehandlung Freiburg
AMICA e.V. Freiburg
Arbeitskreis Kritische Soziale Arbeit Freiburg (aks Freiburg)
Bianca Baßler, Pädagogische Hochschule Freiburg
BlockFeminista Freiburg
Corona Solidarität Freiburg
Dr. Isabelle Ihring, Pädagogische Hochschule Freiburg; Migrazentrum e.V.
Fantifa Freiburg
FeLi -Feministische Linke Freiburg
Feministischer & Frauen*Streik Freiburg
Frauenverband Courage e.V. -Ortsgruppe Freiburg
Frauke Czelinski, Heilpraktikerin; Migrazentrum e.V.
Jochen Franke, Freiburg
Julia Schweizer, Universtität Freiburg
Kathrin Leipold, Freiburg
Kita Glacisweg e.V.
Laura Polimeni, Freiburg
LILAK e.V.
Max Heinke (Sozialarbeiter i. R.)
MLPD Freiburg
Netzwerk Recht auf Stadt Freiburg
Rosa Hilfe Freiburg
Sarah-Louise Müller, Pfarrerin ev. Pfarrgemeinde Freiburg-Südwest
Sarah Schnitzler, Freiberufliche Grafikerin
Silke Heinke (Altenpflegerin i. R.)
Timm Köhler, Netzwerk Gegenargument, Freiburg
Tritta e.V. -Verein für feministische Mädchen_arbeit
zusammen leben e.V.
OffenerBrief zum Runterladen/Ausdrucken
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