In der Arbeiter- und Frauenbewegung ist eine breite Debatte im Gange, ob und wie der 1. Mai 2020 angesichts der Corona-Pandemie begangen werden kann.
Der 1. Mai ist seit 130 Jahren der internationale Kampftag der Arbeiterklasse. Dort werden Forderungen für mehr Lohn und kürzere Arbeitszeiten, bessere Arbeitsbedingungen, aber auch für grundsätzliche Lösungen und gesellschaftliche Alternativen aufgestellt und diskutiert.
So rief Karl Marx 1865 dazu auf, der Ursache für Not und Elend der Arbeiter und ihrer Familien an die Wurzeln zu gehen: „Nieder mit dem Lohnsystem!“
Arbeiterinnen und gewerkschaftliche Aktivistinnen sind fester Teil davon und nutzen den 1. Mai für den Kampf um Gleichberechtigung im Arbeitsleben und die Befreiung der Frau von doppelter Ausbeutung und Unterdrückung. Seit der 1. Weltfrauenkonferenz 2011 in Venezuela hat auch die Weltfrauenbewegung den 1. Mai zu einem ihrer Kampftage gemacht.
In der Geschichte und in vielen Ländern auch heute muss(te) der 1. Mai gegen die zum Teil blutige Unterdrückung durch reaktionäre Regierungen und ihren Staatsapparat erkämpft werden.
2020 hat der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) wegen der Corona-Pandemie alle seine Kundgebungen und Demos am 1. Mai in Deutschland abgesagt.
Der Bundesvorstand hat dies in einem Rundbrief an die Courage-Gruppen als voreilig kritisiert und die Courage-Frauen dazu aufgefordert, darüber zu diskutieren und zu überlegen, wie man trotz Corona den 1. Mai feiern und begehen kann. Natürlich mit dem notwendigen Gesundheitsschutz.
Die darauf folgende Kritik einer Couragefrau aus Baden-Württemberg war der Anlass für eine kontroverse Debatte. Mit ihrem Einverständnis wollen wir den Briefwechsel hier (etwas gekürzt) dokumentieren und sind gespannt auf weitere Meinungen aus dem Verband!
Sie schrieb:
„Wenn ich die momentane Lage ansehe (...) kann ich nur sagen, dass der Beschluss voll richtig war. ... Und wie sich die Pandemie im Moment entwickelt, rechne ich auch nicht damit, dass sich bis zum 1. Mai viel ändert.
.... Die Absage ist kurz vor knapp erfolgt und nicht voreilig. ...Der Platz muss schon lange vorher belegt werden, es werden Redner und Musik gebucht. Getränke und Versorgung muss geklärt werden. Plakate und Handzettel werden gedruckt, aufgestellt und verteilt. Das alles kann man nicht am 30. April absagen. Dann wäre schon viel Geld (der Mitglieder) verbrannt. …So ein Vorwurf muss Substanz haben. Er wird jetzt von allen Frauengruppen vielleicht aufgegriffen und verbreitet. Das kann zu üblen Auseinandersetzungen führen. Ich finde es deshalb von euch verantwortungslos so was in den Verband zu geben.“
Nach einer Diskussion unter Bundesvorstandsfrauen schrieben wir ihr zurück:
„....Wo du natürlich voll Recht hast ist, dass der Gesundheitsschutz wichtig und zu beachten ist. Es ist zugleich aber eine wichtige Diskussion, dass hier massiv demokratische Rechte und Freiheiten eingeschränkt werden und viele Leute das zunehmend kritisch sehen. Es wird doch mit zweierlei Maß gemessen. In vielen Betrieben wird weiter gearbeitet und auf die Gesundheit der Beschäftigten keine Rücksicht genommen. Krankenschwestern werden nicht getestet und sollen arbeiten, bis Symptome auftreten. Gleichzeitig werden unter dem Corona-Deckmantel lang geplante Arbeitsplatzvernichtungen und Werksschließungen durchgezogen und darauf gesetzt, dass keiner protestiert. Obwohl die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung sehr geduldig, verantwortungsbewusst und solidarisch ist, werden wir mit striktem Kontaktverbot und in manchen Bundesländern unsinnigen Regelungen überzogen. …Die Leute entwickeln so tolle Initiativen für die Solidarität und den Zusammenhalt! Es gibt inzwischen einzelne Erfahrungen, wie man Demos und Proteste unter Corona- Bedingungen durchführen kann. Auch Fahrraddemos oder Auto-Korsos wären denkbar.
Unser Anliegen war, über alternative Formen des 1.Mai nachzudenken, bevor alles abgesagt wird. Man kann bei der Gelegenheit auch mal die Frage aufwerfen, warum der Schwerpunkt am 1. Mai sich immer mehr zu großen Familienfesten verschiebt, anstatt kämpferische Demos und Kundgebungen zu machen. Und warum Redner und Musiker aus Gewerkschaftsbeiträgen bezahlt werden müssen, anstatt ehrenamtlich aufzutreten?“
Daraufhin antwortete sie:
„...ich kann dir eigentlich in allen Punkten zustimmen, besonders wenn man
Beispiele sieht, wie die Polizei gegen kleine Proteste schon vorgeht.
Hier geht es nicht um Gesundheitsschutz, sondern schon fast schon um
Notstandsübungen.
Aber was hat das mit der Absage von Großveranstaltungen wie dem 1. Mai zu
tun.... Solche Großveranstaltungen lassen sich nicht zu einem flashmob mit genügend Abstand umfunktionieren. Und warum sollte man sie erst absagen dürfen, wenn man über Alternativen nachgedacht hat. Absagen hätte man sie auf jeden Fall müssen. … Auch wenn es der DGB Bundesvorstand war, wenn eine Entscheidung richtig und notwendig war, kann ich das auch so sagen, und nicht irgendwas zum rumkriteln suchen. …
Man kann es ja auch so sehen, durch die frühe Absage besteht besser die Möglichkeit sich Alternativen zu überlegen. Kurz vorher wäre das noch schwieriger gewesen. Für mich bleibt es dabei, der Beschluss des DGB Vorstands war nicht voreilig, sondern richtig.
Zur Frage von kämpferischen Demos, das lässt sich nicht von oben verordnen. Das ist sicher eine tiefergehende Auseinandersetzung wie sich der 1. Mai so entwickelt hat.
Ich bin auf die Meinungen von den anderen Frauen gespannt.“
In diesem Sinne: beteiligt Euch an dieser Debatte berichtet, wie in euren Städten der 1. Mai vorbereitet wird und was sich eure Courage-Gruppe vorgenommen hat!
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