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Zwangsverheiratung in Deutschland |
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Presseerklärung von TERRE DES FEMMES vom 9.11.11
Erste bundesweite Studie zu Zwangsverheiratung in Deutschland: TERRE DES FEMMES fordert nun Taten von der Politik
Am heutigen Mittwoch hat Bundesfamilienministerin Schröder die Studie „Zwangsverheiratung in Deutschland - Anzahl und Analyse von Beratungsfällen“ vorgeste llt. Die Ergebnisse bestätigen die tägliche Arbeit von TERRE DES FEMMES: Zwangsverheiratungen sind hierzulande kein Einzelphänomen.
Ergebnisse sind alarmierend
Allein im Jahr 2008 wurden 3.443 von Zwangsverheiratung bedrohte oder betroffene Personen beraten. 93% davon waren Mädchen und Frauen. Christa Stolle, Geschäftsführerin von TERRE DES FEMMES: „Nur die mutigsten Mädchen suchen aktiv Hilfe bei einer Beratungsstelle, wir gehen von einer weit höheren Dunkelziffer aus.“ Dies bestätigen auch weitere Angaben in der Studie, wonach über 25% der Betroffenen berichteten, dass auch andere Familienmitglieder von einer Zwangsverheiratung betroffen sind.
Auffallend ist, dass die Betroffenen vermeintlich gut integriert sind. 32% sind in Deutschland geboren und 44% besitzen einen deutschen Pass. Doch ihre Zukunft liegt nicht in Deutschland: Mehr als 52% der Zwangsverheiratungen finden im Ausland statt oder sind dort geplant. 43% der Betroffenen befürchten, ins Ausland verschleppt zu werden und dort langfristig leben zu müssen. „Es kann nicht sein, dass der deutsche Staat seiner Fürsorgepflicht für die jungen Frauen nicht nachkommt“, so Stolle weiter. „Es bedarf einer konsequenten Präventionsarbeit bereits lange vor ihrer Verschleppung.“ Es reicht nicht aus, sie erst in einer akuten Krise zu unterstützen. Die Präventionsarbeit muss frühzeitig beginnen. TERRE DES FEMMES fordert deshalb eine pro-aktive Beratungsarbeit zur Bekämpfung von Zwangsverheiratung. Das bedeutet, die SozialarbeiterInnen müssen dorthin gehen, wo die potentiell Betroffenen anzutreffen sind: in Jugendzentren, Mädchencafés und Schulen. Dazu brauchen die Beratungsstellen eine deutliche finanzielle Aufstockung durch Bund und Länder.
Motiv: Familienehre
Nach den Gründen für die Zwangsverheiratung befragt, gab die Mehrzahl der Betroffenen den Erhalt der Familienehre bzw. den Machterhalt der Männer als Motiv an. Christa Stolle fordert deshalb einen Wertewandel in den relevanten communities. „Die Bundesregierung muss eine breit angelegte Kampagne durchführen, die den überholten Ehrbegriff hinterfragt und neue positive Vorbilder für Frauen wie Männer zeigt.“ Das Ziel muss sein, dass Mädchen und Frauen frei leben und ihre PartnerInnen selbst wählen dürfen.
Gewalt ist an der Tagesordnung
67% der Betroffenen haben bereits in der Erziehung Gewalt erlebt. Über die Hälfte waren Opfer körperlicher Gewalt und in 27% der Fälle war die Zwangsverheiratung sogar mit Morddrohungen und/oder Waffengewalt verbunden.
Sensibilisierung an Schulen fehlt
Beunruhigend ist die Tatsache, dass vor allem junge Frauen unter 21 Jahren betroffen sind (über 70%). Knapp ein Drittel der Betroffenen sind sogar unter 18 Jahren. Das jüngste Mädchen war gerade mal 9 Jahre alt. Vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse der Schulbefragung besorgniserregend. Von den angeschriebenen 726 Schulen (knapp 0,2% aller Schulen in Deutschland) gab nicht einmal jede zehnte an, dass Zwangsverheiratung ein relevantes Thema sei. Bedenkt man, dass für viele Betroffene noch die Schulpflicht gilt und für fast 70% die Zwangsverheiratung einen Ausbildungsabbruch zur Folge hat,[4] ist diese fehlende Sensibilisierung skandalös!
Um einen Bewusstseinswandel zu schaffen, fordert TERRE DES FEMMES, dass das Thema Zwangsverheiratung in alle Lehrpläne ab der 7. Klasse aufgenommen wird.
Zwangsverheiratungen im Ausland müssen auch in Deutschland bestraft werden können
Über die Hälfte der Zwangsverheiratungen finden im Ausland statt, der Großteil der Betroffenen ist dann von deutschen Fachberatungsstellen nicht mehr zu erreichen. Das erklärt auch die geringe Zahl an Beratungsfällen (7%), in denen die Zwangsverheiratung schon vollzogen wurde und eine Heiratsverschleppung ins Ausland erfolgte. Das im Juli 2011 in Kraft getretene Gesetz gegen Zwangsverheiratung greift bei diesen Fällen nicht, da versäumt wurde, Zwangsverheiratung in den Katalog der Auslandsstraftaten aufzunehmen. TERRE DES FEMMES fordert den Gesetzgeber auf, dies nun endlich nachzuholen.
Die Studie wurde im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren und Jugend von der Lawaetz-Stiftung in Zusammenarbeit mit Torsten Schaak - Büro für Sozialpolitische Beratung und TERRE DES FEMMES durchgeführt. Die Kurzversion der Studie finden Sie auf der Homepage des Bundesfamilienministeriums.
Hier eine weitere Pressemitteilung des Bundesverband der Migrantinnen in Deutschland e.V.:
Frankfurt, 15.11.2011
Zu den Aussagen der Frauenministerin Kristina Schröder zur aktuellen Studie zu Zwangsverheiratung „Kein machtpolitisches Spielchen auf Kosten uns Migrantinnen, Frau Schröder!“
Mit der aktuellen Studie zur Zwangsverheiratung präsentiert sich die Ministerin als vermeintliche Helferin von Migrantinnen! Dabei scheut sie sich nicht einmal, die Ergebnisse der Studie auf den Kopf zu stellen, Zusammenhänge zu verdrehen und eigene „einfach so“ mal abzuleiten. Letztere gilt vor allem für das Verhältnis zwischen Religion/Religiösität und Gewalt, das in der Studie lediglich durch eine Abfrage der Religionszugehörigkeit der Eltern der Befragten erfasst wurde – ohne jegliche qualitative Auswertung. Diese leitet die Ministerin jedoch willkürlich herbei und nimmt so Interpretationen in Kauf, die jeglichen wissenschaftlichen Boden verlassen.
Die jüngsten Aussagen der Frauenministerin hinterlassen bei uns jedoch folgenden Eindruck: Statt von Gewalt und Zwangsverheiratung betroffenen Frauen wirklich zu helfen, versucht Frau Schröder offenbar eher sich zu helfen und ihr angegriffenes Image im sog. „Quotenstreit“ wieder zu reparieren. Oder anders formuliert: Frau Schröder nutzt die aktuelle Studie zu Zwangsverheiratung für ihr machtpolitisches Kalkül, sich auf Kosten uns Migrantinnen zu profilieren.
Zwangsverheiratung ist eine gravierende Menschenrechtsverletzung! Doch statt betroffenen Frauen zu helfen, hat die Regierung zur Bekämpfung von Zwangsverheiratung keine ernsthaften Maßnahmen ergriffen. Und wenn sie handelte, dann mit der Folge, dass die rechtliche Lage von Frauen sich verschlechterte. So beim Familiennachzug (Sprachnachweis) oder bei der Verlängerung der Ehebestandszeit. Letztere zwingt Frauen in Fällen von Gewalt oder Zwangsverheiratung statt 2 Jahre nun 3 Jahre eine Ehe auszuharren! Damit aber Frauen ein selbstbestimmtes Leben führen können, muss das unabhängige Bleiberecht für Frauen unabhängig vom Ehemann endlich eingeführt werden! Die Einrichtung eines Hilfetelefons bei gleichzeitigen Schließungen von Opferschutzeinrichtungen und finanziellen Kürzungen, ist ein schlechter und unzureichender Trost für die Betroffenen.
Auch stellt die Einführung des Straftatbestandes § 237 StGB „Zwangsheirat“ keine geeignete Maßnahme dar, Opfer vor Zwangsehen zu schützen. So verstößt der Tatbestand gegen das verfassungsrechtliche Prinzip der Bestimmtheit, da aufgrund der schwierigen Abgrenzbarkeit zwischen sog. arrangierten Ehen und Zwangsehen nicht deutlich genug bestimmt werden kann, welches Verhalten denn nun von dem Straftatbestand erfasst ist. Außerdem ist äußerst zweifelhaft, ob die dem
Straftatbestand unterstellte Signalwirkung potentielle Täter oder Opfer überhaupt tatsächlich erreicht.
Wir Frauen vom Bundesverband der Migrantinnen fordern die Bundesregierung noch einmal deutlich dazu auf, den Missbrauch des existenten Sozialproblems unter dem Deckmantel seiner Bekämpfung per sofort zu unterbinden. Opfer von Zwangsehen werden durch diesen Umgang doppelt viktimisiert und Migrantinnen, die nicht im Entferntesten von diesem Problem betroffen sind, unnötig stigmatisiert.
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