Vertreibung und Völkermord in Nordkurdistan durch die türkische Regierung |
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Bericht zweier Courage-Bundesvorstandsfrauen, die an der Delegationsreise der 2. Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen nach Diyabakir (Türkei, Nordkurdistan) teilnahmen
Die 2. Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen in Nepal beschloss eine Delegation nach Nordkurdistan zu schicken, als Zeichen unserer Solidarität mit der kurdischen Bevölkerung und den kämpferischen kurdischen Frauen. Zu fünft fuhren wir vom 1. bis 4. Juli nach Diyarbakir. Was wir dort gesehen und gehört haben, hat uns sehr betroffen und auch wütend gemacht.
Die ungeheure und planmäßige Vorgehensweise, mit der die türkische Regierung einen neuen Genozid an der kurdischen Bevölkerung vorbereitet und durchführt, war für uns überhaupt nicht vorstellbar.
Seit einem Jahr hat sich die Lage extrem verschärft. Es wurden Städte wie Nusaibin, Cizre, Lice, Sirnac, Yüksekova und Stadtteile wie Sur von Diyarbakir zerstört und z.T. dem Erdboden gleichgemacht. Die Vorgehensweise des türkischen Militärs im Auftrag der türkischen Regierung ist immer gleich: Die Bevölkerung eines Ortes wird aufgefordert, den Ort bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu verlassen - manchmal haben die Menschen nur ein paar Stunden Zeit . Ab diesem Datum wird der Ort bombardiert. Die Häuser werden angezündet und alle Menschen, die sich noch dort aufhalten, willkürlich gefangen genommen, gefoltert, getötet, die Leichen verstümmelt und geschändet. Die sexuelle Gewalt trifft besonders Frauen.
Eine neue Dimension hat der Krieg gegen die kurdische Bevölkerung vor 3 Wochen angenommen. In dem Ort Lice wurde nicht nur die gesamte Stadt dem Erdboden gleich gemacht, sondern auch der dazugehörige Wald angezündet. Es wurden nicht nur die Menschen getötet, sondern auch alle Tiere. Leichen wurden verstümmelt und vor allem die Leichen von Frauen nackt in den social media zur Schau gestellt. 400.000 Menschen sind zur Zeit Binnenflüchtlinge. Tausende wurden ermordet, auch Babys und alte Menschen sind unter den Opfern. Die türkische Regierung führt hiermit eine riesige Enteignungskampagne durch.
Die kurdischen gewählten Stadtverwaltungen bestehen in jedem Amt aus zwei Personen, einer Frau und einem Mann. Dieses System wird von der türkischen Regierung nicht anerkannt. Es kommt ständig zur Absetzung von Mitgliedern der Stadtverwaltungen. Diese werden ihres Amtes enthoben obwohl das rechtlich gar nicht möglich ist, da sie gewählt sind. Meistens ist davon die Frau betroffen, so dass diese Vorgehensweise ein direkter Angriff auf die Gleichberechtigung der Frauen ist. Die freiwerdenden Stellen werden mit Mitarbeitern der türkischen Regierung besetzt. Willkürlich werden gewählte Vertreter verhaftet, wie die Co-Bürgermeisterin von Sur, Fatma Sik Barut. Ihr droht eine lebenslange Haftstrafe für ihren Einsatz für die kurdische Autonomie.
In Sur wehrten sich junge Menschen gegen die gewaltsame Vertreibung aus ihrer Heimat mit Waffen. 102 Tage kämpften sie und hatten keine Chance gegen die hochtechnisierten Waffen der türkischen Sicherheitskräfte.
Niemand kann wissen, ob er nicht am nächsten Tag oder in den nächsten Stunden zur Zielscheibe der Sicherheitskräfte wird. Es gab einen Fall, indem die Leiche eines jungen Mannes mit über tausend Einschüssen und verbranntem Kopf gefunden wurde. Ein hoher Polizeioffizier benachrichtigte die Familie vom Tod ihres Sohnes etwa so: "Er ist nicht mehr euer Sohn, wir haben ihn zerfetzt und so verstümmelt, das ihr ihn nicht mehr als euren Sohn erkennen könnt." Die Leiche wurde zusammen mit anderen unkenntlichen Leichen ohne Wissen der Angehörigen auf einem Friedhof verscharrt.
Die Solidarität der Menschen untereinander ist unerschöpflich. Freiwillige, besonders junge Frauen kommen aus den verschiedensten Regionen der Türkei und kümmern sich um die Verteilung von Lebensmitteln, Kleidung und anderen wichtigen Dingen an die betroffenen Familien. In Yüksekova, einem Ort nahe der iranischen Grenze, teilt die Stadtverwaltung täglich an über 50 Standorten Lebensmittelrationen für ca. 22.000 Menschen aus. Die Helferinnen und Helfer wohnen in einfachen Zelten. Zum Duschen gehen sie zu Freunden oder Nachbarn.
Bei unseren Gesprächen mit Betroffenen, z.B. einer Familie vor ihrem zerstörten Haus in Yüksekova wurden wir immer wieder gefragt, warum die deutsche Regierung die türkische Regierung unterstützt, warum es keinen Aufschrei in der Welt gäbe gegen den Krieg gegen die kurdische Bevölkerung. Ihr größter Wunsch war, dass wir diese Grausamkeiten in der Welt bekannt machen. Das haben wir als Auftrag mitgenommen. Diesem ersten kurzen Bericht wird ein ausführlicher folgen.
Unsere Delegation hat sich trotz massiver Bedrohung durch die Sicherheitskräfte nie wirklich gefährdet gefühlt. Das verdanken wir den Menschen, die uns eingeladen und auf unserer kurzen Reise begleitet haben. Sie haben die Gefahren immer wieder neu eingeschätzt und auch kurzfristig das Programm geändert, wenn sie für unser Sicherheit nicht garantieren konnten. Unser besondere Dank gilt daher all denen, die wir auf dieser beeindruckenden Reise kennengelernt haben!
Gemeinsam werden wir gegen alle Ungerechtigkeiten und Willkür vorgehen und um Frieden und Freiheit für das kurdische Volk und für alle unterdrückten Menschen kämpfen!
Organisiert können wir es schaffen! Wir vom Frauenverband Courage wissen, organisierte Frauen sind starke Frauen, die auf dem Weg der Befreiung der Frau auch den Weg für eine befreite Gesellschaft ebnen.
Ulrike und Birgit, Bundesvorstand Frauenverband Courage
Bericht (mit Bildern) zum herunterladen und weiterverbreiten
Bildbericht
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