Im November gab es gleich zwei bedeutende Gerichtsurteile in Deutschland zur gemeinnützigen Betätigung von Vereinen und Organisationen:
Das Finanzamt Wuppertal musste den Entzug der Gemeinnützigkeit des Frauenverbands Courage für die Jahre 2010 und 2011 zurücknehmen, nachdem es sich drei Jahre auf den Gerichtstermin vorbereitet hatte! Andernfalls, so deutete der Richter des Finanzgerichts in Wuppertal an, würde das Finanzamt mit diesem Versuch juristisch scheitern. Ein weiterer wichtiger Erfolg war die Entscheidung des Hessischen Finanzgerichts in Kassel: Attac ist gemeinnützig. Die Richter gaben damit der Klage von Attac gegen das Finanzamt Frankfurt statt, das ihnen 2014 die Gemeinnützigkeit entzog.
Bernadette Leidinger-Beierle, eine der Sprecherinnen des Bundesvorstands Courage, war bei beiden Prozessen anwesend. „Bemerkenswert sind vor allem die Begründungen der Gerichte. Im Falle von Attac war die Begründung des Finanzamts, deren Tätigkeit sei „zu politisch“. Stattdessen wurde klargestellt, dass gemeinnütziges Engagement gar nicht möglich ist ohne politische (Willens-)bildung und Aktivitäten. Das sehen wir ganz genauso – gemeinnütziges Engagement kann doch nicht nur dazu sein, Pflästerchen zu verteilen, die die Wunden und Probleme dieses gesellschaftlichen Systems verpflastern? Nein, es muss auch zu den Hin-tergründen und Ursachen tätig werden dürfen! Bei Courage lag der Entzug der Gemeinnützigkeit darin begründet, dass das Finanzamt Wuppertal uns im Verfassungsschutzbericht gefunden hat. Darin wird uns seit Jahrzehnten völlig haltlos der Stempel „MLPD-U-Boot“ aufge-drückt. Völlig zurecht wies nun das Finanzgericht Düsseldorf darauf hin, dass alle vom Finanzamt daraus vorgebrachten Argumente aus dem Verfassungsschutzbericht lediglich einen Verdacht äußern – aber eben keine Beweiskraft haben.“
Leidinger-Beierle gratuliert Attac, allen Courage-Frauen und Unterstützern und Unterstützerinnen herzlich zu diesem Erfolg. Wie viele ihrer Mitstreiterinnen sieht sie in diesen Urteilen eine Bedeutung, die weit über die direkt betroffenen Organisationen hinaus geht: „Immer mehr Menschen sind bereit aufgrund ihrer Unzufriedenheit über die aktuellen politischen Verhältnisse auch selbst aktiv zu werden – wie bei den großen Anti-TTIP/CETA-Proteste oder dem Kampf der Frauenbewegung um eine Verschärfung des Sexualstrafrechts. In Polen brachten Frauen mit Streiks und Demonstrationen das geplante Abtreibungsverbot zu Fall und damit als eine ersten der erzreaktionären Regierung eine Niederlage bei. In der Türkei verhinderten Frauenproteste trotz Ausnahmezustand das abartige Vorhaben, Vergewaltigung nicht unter Strafe zu stellen, wenn der Täter das Opfer später heiratet. Unter dem Motto „Nicht eine mehr!“ legten hunderttausende Frauen in Peru ganze Städte lahm, alle gemeinsam von Anarchistinnen bis Polizistinnen gegen zunehmende Gewalt und Morde an Frauen.
Es ist genau richtig, sich gerade jetzt stärker zu organisieren – überparteilich, finanziell unabhängig, mit internationalen Partnerschaften, mit starken Bündnissen und das in den Mittelpunkt zu stellen, was uns vereint für eine von Ausbeutung und Unterdrückung befreite Gesellschaft. Wir von Courage sagen: So kommen wir weiter auf dem Weg zur Befreiung der Frau und so verändern Frauen Welten!“
Courage wird jetzt für die Jahre ab 2012 wieder den regulären Freistellungsantrag stellen, in dessen Zuge die Gemeinnützigkeit wieder geprüft wird und ist gespannt auf die Ergebnisse. Unser Atem ist auf jeden Fall lang genug!
Wuppertal, Dezember 2016
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