Es hat sich bewahrheitet: Das G20-Treffen am 7. und 8. Juli in Hamburg war inhaltlich eine Nullnummer. Es spricht nicht gerade für die Mächtigsten dieser Welt, wenn fast niemand einen ernsthaften Beitrag zur Lösung der brennenden Probleme der Weltbevölkerung erwartet hat.
Der Protest gegen die Verursacher und Ursachen dieser Probleme war völlig berechtigt. Courage-Frauen beteiligten sich an der Demonstration von 78.000 Menschen unter dem Motto: grenzenlose Solidarität statt G20. Sie ließen sich auch durch dass massive Auftreten der Polizei an den Vortagen, die Schikane und die Hetze im Vorfeld nicht abschrecken.
Eine Hamburger Couragefrau berichtet:
Gut eine Woche ist es her, dass der G20 – Gipfel hier in Hamburg zu Ende ist. Am Himmel ist Ruhe eingekehrt – keine permanente Hubschrauberbeschallung mehr – teilweise waren zusätzlich zu dem vielen normalen Helikoptern Militärhubschrauber in Zweier-Formation und im Tiefflug bis morgens um 4:00 Uhr unterwegs. Keine täglich wechselnden Straßensperren zur Sicherung der „Durchfahrtzonen“ für die „Gäste“. (Dass dabei das gemeine Volk oft stundenlang im Stau ausharren musste, war Nebensache).
Noch keine Ruhe gibt es bei den Medien. Hat es schon Wochen vor dem G20 – Gipfel täglich reißerische Berichte über „8000 gewaltbereite Autonome aus ganz ganz Europa“, die unsere Stadt überfallen werden, gegeben, so sind es jetzt die (An) Klagelieder über die maßlose Gewalt und Zerstörung, die die Berichterstattung bestimmen.
Hier geht es weiter |
Die Zerstörungen im Schanzenviertel in Namen des Protests gegen G 20-Treffen lehnen wir Courage-Frauen entschieden ab. Abgefackelte Autos und geplünderte Läden schrecken viele Menschen ab, die die Proteste für richtig halten und liefern die nachträgliche Rechtfertigung für die Kriminalisierung der berechtigten Proteste, für die gewalttätigen und provokativen Polizeieinsätze und die Einschränkung des Versammlungsrechts. Oder warum schritt die Polizei so lange nicht ein? Wir verlangen die lückenlose Aufklärung der Vorfälle und wer dahinter steckt! So ist von den Neonazis keine Rede mehr, die erwiesener Maßen in Hamburg mitmischten (Hamburger Morgenpost, 10.07.17, Junge Welt 12.07.17). Stattdessen wird eine regelrechte Hetze gegen alle „linken“ Kräfte betrieben. Diejenigen werden zur Gefahr erklärt,die die kapitalistischen Verhältnisse nicht hinnehmen wollen, die nach Alternativen suchen, die eine Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung von Mensch und Natur wollen, die von den Bedürfnissen der Mehrheit der Menschen ausgeht und nicht vom Profit- und Machtstreben einer kleinen Minderheit. Die tatsächlichen „Gefährder“, die verantwortlich sind für die mutwillige Zerstörung der natürlichen Umwelt, für Armut, Hunger, Krieg, verschärfte Ausbeutung und Unterdrückung auf der ganzen Welt werden aus der Schusslinie genommen. Denn die inhaltliche Diskussion über Ursachen und über wirkliche Zukunftsfragen ist nicht erwünscht. Sie verschwand in einer Medienkampagne, angestoßen vom reaktionärsten Teil unserer Politiker. Die Bevölkerung soll im Wahlkampf darauf eingestellt werden, den weiteren Abbau demokratischer Rechte zu akzeptieren – sorgen wir dafür, dass sie damit nicht durchkommen!
Wir Courage-Frauen diskutieren: was das G 20 Treffen mit uns zu tun hat, wo sich Leute wie Ivanka Trump, die Textilarbeiterinnen in Indonesien und China auf übelste Weise ausbeutet, zu Frauenrechtlerinnen ernannten.
Daß das Thema Frauen überhaupt auf einem G20-Gipgel aufgegriffen wurde, hängt mit dem gewachsenen Frauenbewußtsein auf der ganzen Welt zusammen. Aber was haben sie den Frauen zu bieten?
Der Deutsche Frauenrat und der Verband deutscher Unternehmerinnen, die Organisatorinnen des W20-Dialog-Gipfels von Frauen, äußern sich in einer Pressemitteilung sehr erfreut über die Ergebnisse des Gipfels.
„Nun haben unsere Anliegen Eingang in die Abschlusserklärung des diesjährigen G20-Gipfels erhalten. Die Verabredungen der G20 sind durchaus zufriedenstellend. Doch muss die G20 diese Ziele noch stärker vom Rand ins Zentrum ihrer Agenda rücken und mit entsprechenden Maßnahmenplänen verbindlich machen.”
Diese Anliegen haben allerdings wenig mit dem zu tun, was die Lage der Masse der Frauen auf der Welt verbessern würde. Kein Wort dazu, dass Millionen Frauen und ihre Familie in Ostafrika vor dem Hungertod stehen, weil ihr Land auf Grund der Erderwärmung durch den Einsatz fossiler Energien nicht mehr für die Landwirtschaft geeignet ist, aber keinerlei wirksame Maßnahmen dagegen ergriffen werden oder dass internationale Konzerne aus purem Profitinteresse Lebensmittel produzieren und verkaufen, die uns krank machen oder dass Millionen auf der Flucht vor Krieg und Gewalt sind oder dass selbst in einem reichen Land wie Deutschland die Armut und insbesondere die Armut von Alleinerziehenden, Niedriglöhnerinnen und Rentnerinnen wächst. Kein Wort davon, dass sich Frauen selbstbewusst dieser Politik entgegenstellen, sie dafür aber insbesondere in reaktionären und faschistischen G20-Staaten zunehmend gewaltsam unterdrückt werden und sich dennoch ihre politische „Teilhabe“ auf der Straße erkämpfen wie am 8. März in der Türkei.
Als Ausweg für die Frauen werden Maßnahmen angepriesen, um „den Zugang zum Arbeitsmarkt, zu Eigentum, zu hochwertiger Beschäftigung und zu Finanzdienstleistungen“ zu verbessern. „Um weibliches Unternehmertum stärker zu unterstützen“ soll der „Zugang von Frauen zu Kapital, Märkten und technischer Hilfe“ gefördert werden. „Weibliches Unternehmertum fördern“ ist kein Ausweg für die Mehrheit der Frauen. Mit dem Zugang zu Krediten Frauen abhängig zu machen oder sich am Einsatz der Arbeitskraft anderer Frauen zu bereichern ist kein Schritt in die Gleichberechtigung.
Heike Löschmann von der Hinrich-Böll-Stiftung, die den G20-Prozess seit vielen Jahren beobachtet, hat Zweifel:
"Es ist gut und wichtig, dass mehr Frauen am Erwerbsleben teilhaben. Aber wir müssen uns dabei sehr genau anschauen, was für eine Art von Arbeit das ist." Das Thema Gender Pay Gap, also die schlechtere Bezahlung von Frauen im Vergleich zu Männern, sei bei den bisherigen Verlautbarungen zum diesjährigen Gipfel gar nicht erst auf die Tagesordnung gekommen. "Dabei kommt es nicht nur auf die Zahl der Arbeitsplätze an, sondern auch auf die Bezahlung."
Wenn es nur darum gehe, mehr Frauen als billige Arbeitskräfte zu gewinnen, sei man dem Ziel gleichberechtigter Teilhabe kein Stück näher, sondern leiste stattdessen Ausbeutung Vorschub. "Die neu geschaffenen Jobs müssen vertraglich abgesichert sein, es muss vernünftige Arbeitszeiten geben, damit nicht insbesondere junge Frauen und Mädchen 12-14-Stunden-Schichten schieben mit hohen Risiken für ihre Gesundheit." Parallel dazu müssten Möglichkeiten für eine bezahlbare Kinderbetreuung geschaffen werden, damit es - insbesondere in Entwicklungs- und Schwellenländern - nicht zu einer Doppelbelastung von Frauen komme.“ (Tagesspiegel, 7.7.2017)
Die Kämpfe der Frauen weltweit, wie der Textilarbeiterinnen in Bangladesch, Kambodscha, Indonesien, Pakistan, der Beschäftigten im Gesundheits-, Pflege-, Erziehungsbereich in Indien, den Niederlanden, Deutschland, Südafrika für höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingung und die gesellschaftliche Anerkennung ihrer Arbeit zeigen:
Wenn wir wirklich was erreichen wollen und mit unserer Emanzipation vorwärts kommen wollen, dann müssen wir Frauen unsere Sache selbst in die Hand nehmen. Wir sind stark, wenn wir uns organisieren und uns weltweit zusammenschließen - das ist der Grundgedanke der Weltfrauenkonferenz. Wir freuen uns über frauenpolitische Erfolge, aber unsere Perspektive der Befreiung der Frau ist weiter. Dazu mischen wir uns selbstbewußt in das gesamte politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Geschehen ein. Und das sind Gründe, warum der Frauenverband Courage viel stärker und viel lauter werden muss! |
Brigitte Ziegler, Bernadette Leidinger-Beierle
Courage-Bundesvorstand
Dokumentiert:
Angeblich gab es bei den G20 Protesten keine Polizeigewalt - im Gegenteil der Polizeieinsatz wird von Politikern verteidigt und gelobt.
43 Demo-BeobachterInnen des Komitees für Grundrechte waren bei den G20-Protesten unterwegs. In einer Pressemitteilung heißt es:
„Wir haben beobachtet, in welchem Maße die Polizei in diesen Tagen die Macht über das Geschehen in der Stadt übernommen hat. Sie hat eskaliert, Bürger- und Menschenrechte ignoriert, sie informierte die Öffentlichkeit falsch und ging mit großer Gewalt gegen die Menschen vor. Schon seit Monaten warnen wir vor dem Ausnahmezustand, der anlässlich des G20 in Hamburg produziert wird. Das, was wir in dieser Woche vorgefunden haben, geht sogar über das, was wir befürchtet haben, noch hinaus. Nicht nur wurden die Grund- und Menschenrechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit durch die Allgemeinverfügung außer Kraft gesetzt. Die Polizei hat, gedeckt von der Hamburgischen Regierung und vermutlich auch im Sinne der Interessen der/des Innminister/-senators und der Sicherheitsbehörden den Ausnahmezustand geprobt. (...) Wenn Demonstrationsteilnehmer*innen Straftaten vorgeworfen werden, muss eine Strafverfolgung eingeleitet werden. Menschen gegen eine Mauer und über diese zu treiben, wie es hier geschehen ist (Video), hat schlicht gar nichts mit polizeilichen Maßnahmen zu tun und ist nicht zu rechtfertigen. Von Wasserwerfereinsatz, Pfefferspray und Tonka-Schlagstock waren alle Demonstrationsteilnehmer betroffen. (...)„ (Pressemitteilung vom 09.07.2017)
|
Gewerbetreibende des Schanzenviertels melden sich in einer Erklärung zu Wort:
„Uns fällt es in Anbetracht der Wahllosigkeit der Zerstörung schwer, darin die Artikulation einer politischen Überzeugung zu erkennen, noch viel weniger die Idee einer neuen, besseren Welt. Wir beobachteten das Geschehen leicht verängstigt und skeptisch vor Ort und aus unseren Fenstern in den Straßen unseres Viertels. Aber die Komplexität der Dynamik, die sich in dieser Nacht hier Bahn gebrochen hat, sehen wir weder in den Medien noch bei der Polizei oder im öffentlichen Diskurs angemessen reflektiert.
Ja, wir haben direkt gesehen, wie Scheiben zerbarsten, Parkautomaten herausgerissen, Bankautomaten zerschlagen, Straßenschilder abgebrochen und das Pflaster aufgerissen wurde. Wir haben aber auch gesehen, wie viele Tage in Folge völlig unverhältnismäßig bei jeder Kleinigkeit der Wasserwerfer zum Einsatz kam. Wie Menschen von uniformierten und behelmten Beamten ohne Grund geschubst oder auch vom Fahrrad geschlagen wurden. Tagelang. Dies darf bei der Berücksichtigung der Ereignisse nicht unter den Teppich gekehrt werden. (...)“ Es war eher die Mischung aus Wut auf die Polizei, Enthemmung durch Alkohol, der Frust über die eigene Existenz und die Gier nach Spektakel - durch alle anwesenden Personengruppen hindurch -, die sich hier Bahn brach. Das war kein linker Protest gegen den G20-Gipfel. Hier von linken AktivistInnen zu sprechen wäre verkürzt und falsch.“
Zur vollständige Erklärung auf Facebook
|
|