Courage-Frauen und Freund*innen aus 15 Städten verfolgten am 7.8.2018 gespannt die Berufungsverhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht Münster zur Klage des Frauenverbands Courage auf Entfernung aus dem Verfassungsschutzbericht des Landes NRW aus dem Jahr 2013. 2015 urteilte das Verwaltungsgericht Düsseldorf, Courage stehe zu Recht in diesem Bericht.
Der Frauenverband Courage wurde von Sprecherinnen des Bundesvorstandes und seinem Anwalt vertreten, das Land NRW durch drei hochrangige Vertreter*innen des Innenministeriums.
Die Vertreterinnen von Courage legten bei der Befragung durch das Gericht am Beispiel einzelner Ortsgruppen, des Frauenpolitischen Ratschlags und der Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen die Vielfalt der Arbeit des Verbands und seiner Bündnispartner*innen dar. Sie erklärten, dass ein breiter Zusammenschluss von Frauen angesichts der nicht zu bestreitenden, anhaltenden Benachteiligung und Unterdrückung von Frauen dringend geboten sei. Warum solle sich Courage also bei allen unterschiedlichen Meinungen von Kräften wie der MLPD distanzieren, die einen solchen Zusammenschluss befürworten und ebenfalls für die vollständige Emanzipation der Frauen eintreten.
Die Vorsitzende des Senats bemühte sich ernsthaft, von den VertreterInnen des Innenministeriums handfeste Beweise für die vom „Verfassungsschutz“ behauptete, „ideologische und personelle Verflechtung des Frauenverbandes Courage mit der MLPD“ zu erhalten.
40% der Courage-Frauen sollen laut Geheimdienst Mitglied in der MLPD sein. Der grandiose Beweis dafür: Es wurde ein Zitat aus einer Ausgabe der Zeitung der MLPD aus dem Jahr 1996 vorgelegt. Danach seien 40% der Delegierten des damals stattgefundenen Parteitags in der Bewegung „Arbeitsplätze für Millionen“ oder bei Courage aktiv gewesen. Mit welchen Rechenkünsten sich daraus die behauptete Zahl ableiten lässt, blieb geheim und wird es wohl auch bleiben.
Auf einhellige Empörung stieß der von der Vertreterin des Innenministeriums vorgebrachte „Beweis“ für den verfassungsfeindliche Einfluss der MLPD auf Courage: Ebenso wie diese sei der Frauenverband „gegen Armut, Unterdrückung und Ausbeutung und suche die Ursache der Weltwirtschaftskrise im kapitalistischen System“. Nach dieser Logik ist auch der Papst ein Verfassungsfeind. Verdächtig sind demnach auch die vielen Menschen, die wachsende Armut (gerade von Frauen), verschärfte Ausbeutung und Unterdrückung, Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen, den Abbau demokratischer Rechte oder die reaktionäre Flüchtlingspolitik nicht hinnehmen wollen und für gesellschaftliche Veränderungen eintreten.
Das Gericht hat auch nach Beweisen aus den eigenen Veröffentlichungen von Courage für die aktive Unterstützung der MLPD gefragt, die es selbst im Internet nicht finden konnte. Ziemlich dreist war daraufhin die Behauptung einer Vertreterin des Innenministeriums: Courage halte sich seit der Aberkennung der Gemeinnützigkeit in seinen Veröffentlichung zurück und betreibe die Unterstützung der MLPD heimlich. „Wenn hier einer heimlich handelt,“ konterte eine der Sprecherinnen, „dann ist es doch der Geheimdienst. Warum wurde sonst vom hessischen Ministerpräsidenten eine Aktensperre von 120 Jahren zur Anwesenheit des Geheimdienstmannes Temme beim NSU-Mord in Kassel verhängt?“
Die vorsitzende Richterin bot den Prozessbeteiligten als „Kompromiss“ an, das Innenministerium zu verpflichten, wertende Aussagen über den Charakter des Frauenverbandes wie z.B. „Vorfeldorganisation“ aus dem „Verfassungsschutz“-Bericht herauszunehmen und nur noch Aussagen zuzulassen, die die MLPD über den Frauenverband Courage macht.
Die Vertreter*innen des Innenministeriums waren bereit, diesen Kompromiss zu akzeptieren, jedoch unter „Widerspruchsvorbehalt“, da die wirklichen Entscheidungsträger telefonisch nicht zu erreichen waren.
Das lehnten die anwesenden Bundesvorstandsmitglieder des Frauenverbands Courage selbstbewusst ab. „Wir sind ein überparteilicher Verband. Wir arbeiten in breiten Bündnissen mit vielen anderen Organisationen auf Augenhöhe zusammen. Die Nennung im „Verfassungsschutz“-Bericht, gegen die sich unsere Klage ursprünglich gerichtet hat, und die damit verbundene Stigmatisierung blieben bestehen. Ebenso die Folgen: von der Aberkennung der Gemeinnützigkeit bis hin zu Berufsverboten.“ so eine der Sprecherinnen vor Gericht. „Auch muss davon ausgegangen werden, dass andere Behörden sich daran orientierten“, fügte der Anwalt hinzu.
In der abschließenden Stellungnahme leiteten die Vertreterinnen des Bundesvorstandes nochmal die Notwendigkeit des überparteilichen Zusammenschlusses von Frauen unterschiedlicher Schichten, weltanschaulicher und politischer Meinungen her. Sie betonten den demokratischen Gründungsprozess des Frauenverbandes und wiesen zurück, dass seine Überparteilichkeit und seine Eigenständigkeit nur vorgeschoben seien. Bei Courage sei eine offene, demokratische Diskussion und Entscheidungsfindung Trumpf. Der Frauenverband und seine Gruppen in 50 Städten legten selbst fest, welche Aktivitäten und Themen für sie wichtig seien. Und da gibt es viele, wie anhaltende Entgeltungerechtigkeit, Sexismus, Gewalt an Frauen, Frauenarmut, Angriffe auf das Selbstbestimmungsrecht der Frauen. Sie gingen auf das demokratische Recht von Parteifrauen im Verband ein, für ihre Parteien zu Wahlen anzutreten. Der Verband selber greife dabei mit seinen eigenen Positionen nur in Form von Wahlprüfsteinen ein, wie andere Verbände auch. Sie wiesen auf die internationale Zusammensetzung und die internationale Arbeit von Courage hin und stellten den Charakter des Frauenpolitische Ratschlags richtig.
Am Ende der Verhandlung entschieden sich die Richter, das Urteil erst nach eingehender Beratung zu fällen und schriftlich zuzustellen.
Überparteiliches frauenpolitisches Engagement im Bündnis mit anderen fortschrittlichen Bewegung und Kräften ist angesichts der Rechtsentwicklung der Regierung nötiger denn je! Der Frauenverband Courage muss ganz raus aus den „Verfassungsschutz“-Berichten! Dafür werden wir auch weiter vor Gericht und in der Öffentlichkeit streiten.
Das bekräftigten Courage-Frauen und Unterstützer*innen auf der anschließenden lebhaften Kundgebung in der Innenstadt von Münster.
Einige Stimmen von der Kundgebung: |
„Herzlichen Glückwunsch für die klare Haltung, die Ihr bewiesen habt!“ |
„Es ist nicht so, dass der „Verfassungsschutz“ nicht versteht, was Überparteilichkeit ist. Er arbeitet mit seinen Methoden aktiv gegen einen tatsächlichen überparteilichen Zusammenschluss unter Einschluss aller Kräfte, die sich für die Rechte der Frauen oder gegen die Rechtsentwicklung der Regierung oder für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen – für eine lebenswerte Zukunft einsetzen!“ |
„Uns wird vorgeworfen, wir seien gegen Armut, Ausbeutung und Unterdrückung und sähen doch tatsächlich die Ursache der letzten Weltwirtschaftskrise im Kapitalismus. Das heißt doch wir dürfen die gesellschaftliche Wirklichkeit nicht mehr analysieren, kritisieren und uns für Veränderungen einsetzen. Und es heißt im Umkehrschluss, dass der sogenannte Verfassungsschutz Armut, Ausbeutung und Unterdrückung verteidigt und die gesellschaftlichen Verhältnisse schützt, die dazu führen. Das ist rückschrittlich und armselig. Davon lassen wir uns nicht davon abhalten für die Befreiung der Frau und eine lebenswerte Zukunft zu kämpfen“ |
„In diesem Jahr feiern wir 100 Jahre Frauenwahlrecht – das mussten sich Frauen auch hart erkämpfen und sie wurden dafür beschimpft und verfolgt. Kämpfen wir couragiert weiter!“ |
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