Die beiden Kasseler Frauenärztinnen Nora Szász und Natascha Nicklaus stehen seit Mittwoch, dem 29.08.2018, vor Gericht. Wie Kristina Hänel sind sie von "Lebensschützern" angezeigt worden. Die beiden haben auf ihrer Website als eine von mehreren Leistungen "Schwangerschaftsabbruch" aufgeführt. Nun droht ihnen eine Verurteilung nach §219a.
Der Frauenverband Courage hat ihnen den folgenden Solidaritätsbrief geschickt:
Liebe Nora Szász, liebe Natascha Nicklaus,
Sie stehen als Ärztinnen auf der Seite der Frauen, die vor der Entscheidung stehen, ob sie eine Schwangerschaft fortsetzen wollen oder nicht und geben ihnen die Informationen, die sie dafür brauchen. Sie werden von selbsternannten „Lebensschützern“ vor Gericht gezerrt auf der Grundlage von Gesetzen, die noch aus dem Hitlerfaschismus stammen und lassen sich nicht einschüchtern. Das finden wir mutig. Im Namen der Frauen des Frauenverbands Courage sichern wir Ihnen unsere Solidarität und Unterstützung zu.
Eine unserer ersten Kampagnen richtete sich 1995 dagegen, dass Frauen, die eine ungewollte Schwangerschaft abbrechen und alle daran Beteiligten, grundsätzlich immer noch kriminalisiert werden – auch wenn sie unter bestimmten, in den Paragraphen 218 und 219 des Strafgesetzbuchs geregelten Bedingungen straffrei bleiben. Wir setzen uns für die komplette Streichung des Schwangerschaftsabbruchs aus dem Strafgesetzbuch ein. Das hat unsere 10. Bundesdelegiertenversammlung im Juni 2018 nochmal bekräftigt. In der dort verabschiedeten Erklärung heißt es u.a.:
„Wir sagen Vorurteilen und Verfolgungen den Kampf an!
- Uns Frauen liegt das Leben und eine menschenwürdige Zukunft unserer Kinder sehr am Herzen – Frauen entscheiden nicht leichtfertig über einen Abbruch!
- Frauen müssen das Recht haben, selbst über eine Schwangerschaft (oder Abbruch) zu entscheiden – sie tragen auch die Verantwortung und sozialen Konsequenzen!
- Wir Frauen erklären unsere Solidarität mit allen wegen § 219a verurteilten Ärzten und Ärztinnen – keine weiteren strafrechtlichen Verfolgungen!
Der Frauenverband Courage fordert:
- Für das Selbstbestimmungsrecht der Frau – kein Richter, kein Staat, keine Kirche, keine Partei darf über eine Schwangerschaft entscheiden!
- Sofortige Abschaffung des § 219a – kein Arzt, keine Ärztin darf mehr kriminalisiert und verurteilt werden! „
In diesem Sinne wünschen wir Ihnen für die Verhandlung am 29. August 2018 viel Erfolg und weiterhin viel Mut und Kraft. Bitte halten Sie uns über die Ergebnisse auf dem Laufenden, egal, wie der Prozess ausgeht: der Kampf gegen die Paragraphen 218 und 219 geht weiter.
Bernadette Leidinger-Beierle und Brigitte Ziegler
Frauenverband Courage, Bundesvorstand
Interview mit Nora Szász in der Hessenschau
Nach 8 Stunden wurde Prozess am 29.8. vertagt nachdem Nora Szász einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter gestellt hat. Dieser hat zweimal den Beweisanträge der Verteidigung auf Anhörung eines Experten zu den Folgen des §219a abgelehnt, Patienten als "Kundinnen" bezeichnet und erklärt hatte, es ginge hier nicht um die Rechtmäßig des §219a, sondern darum ihn anzuwenden. Nora Szász erklärte, sie habe das Gefühl, es ginge dem Richter nicht um Aufklärung, sondern daß das Urteil schon feststehe.
Solidarität ist also auch weiterhin angesagt! Vorallem geht es aber darum weiter für die komplette Abschaffung des §218 und 219a zu kämpfen - und das geht am besten organisiert!
Ausschnitt aus einem Bericht der HNA vom 29.08.2018:
"Beide Frauen sind angeklagt, weil sie auf ihrer professionellen Homepage einen Hinweis darauf geben, dass sie als Ärztinnen auch Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.Laut Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs ist es strafbar, "seines Vermögensvorteils wegen" Schwangerschaftsabbrüche anzubieten. Dies hält die Staatsanwaltschaft hier für gegeben. Nach Angaben der Angeklagten kam die Strafanzeige von zwei Männern und "selbsternannten Lebensschützern", die bundesweit gegen hunderte Ärzte vorgehen. Einer von ihnen sagte, er mache das als Hobby. Die Angeklagten bestritten finanzielle Motive. "Unsere Motivation war, Patientinnen deutlich zu machen, dass wir auch ungewollt Schwangeren zur Seite stehen", sagte Nicklaus. Zusammen nähmen beide Ärztinnen zehn bis 15 Abbrüche pro Jahr vor. Dies bringe weniger Honorar als die Betreuung Schwangerer.
Es sei ihnen also ausschließlich um die sachliche Information betroffener Frauen gegangen, als sie 2012 im Rahmen der Praxiseröffnung auch Schwangerschaftsabbrüche als Teil ihres Leistungsspektrums auf ihrer Internetseite aufgelistet hätten. „Es ist unser Anspruch aufzuklären“, sagte Szász. Die betroffenen Frauen seien sehr wohl in der Lage, selbst zu entscheiden, ob sie die Schwangerschaft abbrechen wollten oder nicht. „Wir wollen sie dabei begleiten“, so Szász. „Es geht uns um das Wohl, die Gesundheit und die Integrität unserer Patientinnen“, ergänzte Nicklaus.
Es treffe sie beide nicht nur als Ärztinnen, sondern auch persönlich, dass sie angeklagt seien. Sie fühlten sich zu Unrecht beschuldigt und kriminalisiert. Es sei verletzend, dass ihnen Bereicherung unterstellt werde und sie sich als Mörderinnen beschimpfen lassen müssten. Doch auch ihre Patientinnen seien betroffen. Sie seien in ihrem Grundrecht auf Informationsfreiheit beschnitten. Szász forderte eine politische Lösung. "
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