Wie erleben Courage-Frauen und Frauen aus unserem Umfeld die Corona-Krise? Drucken

Bericht einer Courage-Frau aus Herne

Durch das geltende Kontaktverbot besteht mein Kontakt zu den Mitgliedsfrauen und anderen Frauen zur Zeit hauptsächlich aus Telefongesprächen und Whatsapp -Nachrichten. Und dennoch oder vielleicht gerade aufgrund dieser besonderen und ganz neuen Situation rückt man näher zusammen: wir Ortsvorstandsfrauen telefonieren regelmäßig miteinander und jeden Tag nach der Arbeit rufe ich zwei bis drei andere Frauen an. Mit der einen oder anderen treffe ich mich auch schon mal zum Spaziergang zu zweit, das ist gerade für die, die alleine leben, wichtig.


Allen gemeinsam ist, dass wir besorgt die Entwicklung der Corona-Infizierungen beobachten und uns so gut als möglich schützen indem wir den Abstand von zwei Metern bei Kontakten zu anderen Menschen einhalten und viele Kontakte, wenn möglich, meiden.

So verschieden die Frauen und ihr Leben sind, so verschieden ist auch jetzt ihre Situation

Einige können gut zu Hause bleiben und Kontakte meiden, einige arbeiten von zu Hause, halten zum Beispiel als Sozialpädagogin Kontakt zu den Menschen, die sie betreuen  über Skype und Telefon. „Mir ist jetzt schon angst und bange davor, was jetzt alles liegenbleibt und 'hinterher' auf mich einstürzen wird“, sagt eine Frau. Eine  Erzieherin betreut Schulkinder in einer Notgruppe an der OGS.

Eine andere, Altenpflegerin und selbst vorerkrankt, hat keine Möglichkeit, den engen Kontakt zu den alten Menschen zu vermeiden. „Und wir haben keine Schutzkleidung, noch nicht einmal einen richtigen Mundschutz, da hat man schon etwas Angst“,sagt sie.

Eine der Frauen, körperbehindert und auf regelmäßige Physiotherapie und Wassergymnastik, ihre Yogastunde bei der VHS angewiesen, um soziale Kontakte haben zu können,bedauert, dass außer der Krankengymnastik nun alles wegfällt.

Unsere älteste Mitgliedsfrau bleibt ganz zu Hause und ist glücklich darüber, dass sie vor kurzem noch mal einen Umzug in eine Seniorenwohnung im Erdgeschoß gewagt hat und frische Luft auf ihrer Terasse schnuppern kann. „Die Einweihung mit den Courage-Frauen holen wir später nach“ sagt sie, und dass sie sich auf unseren Besuch freut.

Ich selbst, normalerweise in der Jugendarbeit, wurde abgeordnet zum Ordnungsamt und mache jetzt mit eine Kollegen zusammen Kontrollgänge. Interessant daran ist, die verschiedenen Meinungen und Erfahrungen von den Menschen zu hören und mit ihnen zu sprechen.
„Ich bin so froh, dass wir den Garten haben“ sagt eine Frau, „da können sich die Kinder ganz gut beschäftigen. Ich bedauere die Eltern, die eine kleine Wohnung haben und den Bewegungsdrang ihrer Kinder nur mit Spaziergängen und Radfahren  stillen können.“ Das 'home schooling' klappt ganz gut, hat aber auch seine Schwierigkeiten. So kann man ja die Lehrer nicht fragen, wenn man etwas nicht verstanden hat und die Schulfreunde sind ja weit mehr als Lernpartner. Freundinnen und Freunde fehlen einfach und man kann nur auf Whats app usw. zurückgreifen. Und das Kindergartenkind hält Kontakt mit seinen Freunden über Videoanrufe; der Schnuppernachmittag in der Grundschule, in der sie im Sommer eingeschult werden soll, ist ausgefallen und auch sie macht inzwischen Hausaufgaben – Arbeitsblätter für Vorschulkinder, da ja dies alles jetzt entfällt.
Das Familienleben, die Mutter ist Krankenschwester, funktioniert gut, weil der Vater Kurzarbeit hat und zu Hause ist. Dafür wird das Geld ganz schön knapp.

Traurig macht einige Frauen, dass sie ihre Enkelkinder jetzt nicht sehen können.

Und alle hatten wir uns die Ostertage ganz anders vorgestellt, wollten Freunde und Verwandte besuchen und vieles mehr. Ich telefoniere täglich mit meiner Mutter, die mit meinem Vater 300 km entfernt wohnt, und der ich jetzt gar nicht helfen kann.

Positiv finden wir, dass sich Solidarität und gegenseitige Hilfe entwickeln:

so kauft eine Frau mit ihrer Nachbarin zusammen für die alten Leute im Haus ein, auf unserer Straße kommen wir täglich um 20.30 Uhr vor die Häuser und singen das 'Steigerlied' gemeinsam,stärken den nachbarschaftlichen Zusammenhalt und diskutieren auch über die Straße hinweg, wie wir das alles sehen, was an Maßnahmen von der Regierung getroffen wird usw. Für eine Nachbarin, die Geburtstag hatte, sangen wir 'Happy birthday', ein kleines Trostpflaster für einen nicht gefeierten Geburtstag. Und wie nah uns Corona  kommt, erfahre wir von einer unserer Frauen: die 87-jährige Großmutter eines Freundes hat sich im Krankenhaus infiziert und liegt jetzt auf der Intensivstation, ihre Familie ist in Quarantäne.

Sowohl unter den Frauen als auch insgesamt unter den Leuten wird auch kritisch diskutiert:

„Frau Merkel soll mal den Mund nicht so voll nehmen, wie toll unser Gesundheitssystem ist, man sieht ja, was alles nicht klappt, dass keine Schutzkleidung da ist, Atemschutzmasken verschwinden usw.“, „Ich finde das gut mit dem Anstand halten, aber wenn ich auf der Arbeit auf der Baustelle bin, müssen wir dicht an dicht arbeiten“, „Manchmal bekomme ich richtig Angst, wenn ich den ganzen Maßnahmenkatalog sehe und was an Gesetzen jetzt durchgewinkt wird. Wohin soll das führen? Wir sind doch kein Obrigkeitsstaat oder doch?“ sagt eine junge Frau.

Was wir auch nicht gut finden, ist eine bestimmte Gleichmacherei, die uns von 'oben' eingeimpft werden soll: so singt ein Herner Sänger in seinem eigentlich sehr schönen Lied 'Zusammenstehen': „Scheißegal ob arm oder reich ...“ Das stimmt ja nicht wirklich, gibt es inzwischen doch schon Luxushotels, die 'Quarantäne' für Milliardäre' anbieten...“

Da halten wir es doch lieber mit dem Spruch:

"Wenn dies vorbei ist, sollten wir uns daran erinnern, dass es nicht die Manager und Milliardäre waren, die uns gerettet haben, sondern Krankenschwestern, Pflegekräfte, Ärzte, Landwirte und Kassiererinnen“!


Ergänzung einer Courage-Frau:

Die Coronakrise gibt mir die Gelegenheit, mir ein anderes Leben zu vorstellen, ein Leben, das zur Ruhe gekommen ist, ohne Hektik. Die Zeit und der Alltag haben sich entschleunigt, ich hab mehr Zeit für mich selbst. Viele Sachen (Shopping, Klamotten, …), denen wir tagtäglich unsere Zeit und unser Geld widmen, sind wirklich nicht nötig. Die Klamotten, die wir gerade im Schrank haben, reichen noch für eine lange Zeit.

Ich stelle mir eine Welt vor, in der die Leute weniger arbeiten, weniger konsumieren und mehr Zeit für sich selbst und für ihre Familie haben. Mir ist auch bewusst, dass momentan die Arbeit ungerecht aufgeteilt ist. Die Leute in den Krankenhäusern und in Supermärkte arbeiten Vollzeit und ich habe Freizeit, weil die Schule geschlossen ist. Ich meine, es wäre schon, wenn wir allgemein in der Gesellschaft weniger und bewusster konsumieren und die Arbeit und Geld gerechter verteilen und alle Leute mehr freie Zeit für sich hätten.
Übrigens ich habe in meine freie Zeit auch im Garten gearbeitet und sehr diese Beschäftigung genossen.