... das „Fremde“ in mein Leben gelassen! |
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![]() Die Bilder in der Tagesschau vom 31. Mai verschlugen mir den Atem: Bei einer Polizeiaktion in Nürnberg wurde versucht, einen Jugendlichen aus dem Unterricht herauszugreifen und nach Afghanistan abzuschieben. Das scheiterte am Widerstand der Freunde und Lehrer! Nach dem ersten Verdauen fiel mir ein: Meine ehemalige Kollegin Christa hatte einen afghanischen Jungen, Amir , in ihre Familie aufgenommen. Seine Anhörung beim BAMF war vor kurzem. Ich musste unbedingt wissen, wie es ihnen geht. Auf meine Mail am nächsten Tag erhielt ich sofort eine Antwort. Christa schreibt (leicht gekürzt): "In Anbetracht dieser Bilder aus Nürnberg habe ich sehr mit mir zu kämpfen und die Fassung zu wahren. Die Anhörung war schlimm. Angeblich werden bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ja besonders geschulte Leute eingesetzt, da es sich um besonders Schutzbedürftige handelt. Davon war gar nichts zu merken. Der Typ war absolut unfreundlich und kalt. Er hat Amir weder begrüßt noch verabschiedet. Auch den Vormund und mich nicht. Die Fragen waren soweit korrekt, das Protokoll am Ende war es nicht. Da haben der Vormund und ich hart interveniert, bis es so war, wie es in unseren Augen richtig war. Wenn wir Amir hier nicht so intensiv auf diese Anhörung vorbereitet hätten und auch nicht dabei gewesen wären, wäre es ihm deutlich schlechter ergangen. Aber nicht jeder hat so eine intensive Betreuung. Und er ist insgesamt ein starker selbstbewusster Junge und trotzdem war er die Tage vorher ziemlich durch den Wind. Der Druck, dass dieses Gespräch über so viel entscheidet, ist riesig. Wir hören um uns herum, dass die Bescheide zurzeit ziemlich zügig kommen. Wenn es kein akzeptables Ergebnis ist, schalten wir sofort einen Anwalt ein. Das ist das Privileg von Amir, dass er jetzt Leute um sich hat, die ihm sehr intensiv helfen. Aber was ist mit den anderen? Ich kann überhaupt nicht in Worte fassen, wie wütend mich das alles macht. Das wird umso intensiver, wenn man einen Menschen so nah um sich hat. Alle sagen immer, oh, wie toll, dass du die Aufgabe übernimmst, wie edel. Nein, ist es nicht! Es ist keine Aufgabe, es ist eine Herzensangelegenheit. Am Anfang erschien es vielleicht als eine etwas schwierige Aufgabe. Aber ich kann auch nicht wirklich in Worte fassen, wie es mittlerweile mein ganz persönliches Leben bereichert hat, dass Amir bei uns ist. Und bei den Bildern aus Nürnberg sage ich dieser ganz persönlichen Betroffenheit heraus, ich fühle mich in einem Land nicht mehr wohl, in dem so vorgegangen wird. Es hat mich aber auch bewegt, dass überall da, wo der Einzelne als Mensch wahrgenommen wird, man sich auch gegen dieses unmenschliche Vorgehen auflehnt. Am letzten Abend vor der Anhörung von Amir habe ich vorgeschlagen, wir tauschen die Rollen, er fragt und ich bin er. Und ich habe seine Geschichte erzählt und das hat ihn zutiefst bewegt. Dann fand die Nacht kein Ende, da ist eine ganz große Türe aufgegangen, wir haben die halbe Nacht geredet und er hat die Anhörung wirklich gut hinbekommen. Wir kämpfen, aber nebenher leben wir auch noch ein ganz normales Alltagsleben mit Fußball und Verliebtsein und unaufgeräumten Zimmer … Dieser Schritt, das „Fremde“ in mein Leben zu lassen, ist das Beste, was ich jetzt tun konnte bzw. was mir dann passiert ist." Gisela, Courage-Mülheim Fakten: Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
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