„Schweigen heißt, damit einverstanden sein!“ Drucken

Interview mit Margrith Nagel über ihre Erfahrungen mit dem Leben palästinensischer Frauen unter der Bedingung der Besatzung durch die Israelische Regierung.

Liebe Margrith, wie kam es zu deinen Reisen nach Palästina?

Ich habe als Menschenrechtsbegleiterin von April-Juni 2017 in Israel und den besetzten Gebieten in der Westbank an einem Einsatzprogramm des EAPPI (Ecumenical Accompaniment Programme in Palestine and Israel) teilgenommen. 2018 reiste ich noch einmal mit der „Kampagne Olivenöl Schweiz“. Während dieser Aufenthalte besuchte ich verschiedene Frauenorganisationen und Projekte.

Wie ist die besondere Situation von Frauen in den besetzten Gebieten?

Ich stellte der Generaldirektorin des PWWSD (Palestinian Working Woman Society for Development) in Ramallah genau diese Frage und sie antwortete:

 „Da könnten wir stundenlang reden, es ist sehr komplex. Es gibt so viele Aspekte, die sich alle gegenseitig beeinflussen. „Das Recht auf freie Bewegung, Hauszerstörungen, Landraub usw.“ Dann sagte sie aber bestimmt: „Die physische Sicherheit ist für Frauen am Wichtigsten.“ Die sexuellen Belästigungen an Checkpoints bedeuten Stress für die ganze Familie, so dass ihre Ehemänner nicht mehr möchten, dass sie arbeiten gehen. Dadurch werden die Frauen ökonomisch abhängig und sind isoliert zu Hause. Bei Landraub, verlieren Frauen ihre Jobs, weil sie meistens das Land bewirtschaften. Frauen sind es, die die Kinder groß ziehen, sie haben ständig Angst um sie. Speziell Töchter werden nicht gerne aus dem Haus gelassen. Die Angst vor Kontrollen, Schikanen und Verhaftungen ist groß.Aber auch im eigenen Haus können sich die Palästinenserinnen nicht sicher fühlen. Nächtliche militärische Überfälle in Häuser sind Alltag in der Westbank, häufig geht es darum den Palästinenserinnen zu zeigen, wer hier die Macht hat. Es gibt immer wieder Häuserzerstörungen weil es „keine Bewilligung“ gab, das Haus zu bauen oder wegen kollektiver Bestrafung. Meistens bekommen die Bewohner*innen dann auch noch eine Rechnung vom israelischen Staat für die Abbrucharbeiten. „Die Häuser sind die Seele der Familie“, habe ich immer wieder gehört.

Wie verändert sich eine Gesellschaft unter Besatzung und was bedeutet das für die Frauen?

Unter Besatzung wird eine Gesellschaft eher konservativer, man zieht sich in den Schutz der Familie zurück, was zu noch mehr Isolation von Frauen führt. Es gibt verschiedene Initiativen von Frauenorganisationen diese Isolation zu durchbrechen, wie Frauenzentren, die Beratung, Bildung und Ausflüge anbieten. Wir besuchten im November 2018 ein solches Zentrum in Nahalin. Dieses Dorf ist fast vollständig von der Mauer umschlossen und die Bewegungsfreiheit der Bevölkerung ist stark eingeschränkt. Jehan, die Leiterin des Zentrums erklärte uns, dass ländliche Kommunen in der Regel eine sehr konservative Gesellschaft haben.„Männer wollten nicht, dass Frauen ins Zentrum gehen. Für Frauen ist diese Abwechslung, dieser Freiraum aber sehr wichtig, sonst machen sie nur den Haushalt und nehmen Befehle von den Männern entgegen“, so Jehan. Solche Zentren bedeuten nicht nur Empowerment für die Frauen, sondern dadurch auch für die ganze Gesellschaft.

Wie organisieren sich die Frauen?

Die Palestinian Working Women Society for Development und viele andere Frauen-organisationen zielen auf die Gleichstellung der Geschlechter und die Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen, die Verbesserung des psychologischen Wohlbefindens von Frauen und Mädchen und die Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt. Es geht um Bildungsaktivitäten und Workshops für Frauen, Erfahrungsaustausch zwischen Frauengruppen lokal, regional und weltweit. Es gibt z.B. sogenannte „Runde Tische“ um die Bedürfnisse von Frauen in die Parlamente und Regierungen zu bringen, sie über ihre Rechte aufzuklären. Beim weit verbreiten Thema häusliche Gewalt werden auch Männer am Dialog beteiligt. Oder die Shadow Councils of Local Government (Schattenräte der kommunalen Verwaltung), die Frauen fördern, sich zu Wahlen zu stellen. Sie fordern eine Erhöhung der Frauenquote im palästinensischen Parlament von 20 auf 30 Prozent.

Gibt es konkrete Möglichkeiten, diese Arbeit zu unterstützen?

Hingehen, sehen und darüber sprechen, bspw. einen Einsatz im EAPPI- Programm oder in einem Frauenzentrum wie in Nahalin. Es ist wichtig eine breite Bevölkerung in unseren Heimatländern zu sensibilisieren, die Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts in den besetzten Gebieten aufzuzeigen. Organisationen oder palästinensische Frauenzentren brauchen auch gezielte Spenden.

Welche Forderungen hast du an die Politik gegenüber Israel?

Schweigen heißt, damit einverstanden sein. Die internationale Gemeinschaft macht sich mitschuldig am Leiden der palästinensischen Bevölkerung. Wenn man sich für die israelische und palästinensische Bevölkerung  einsetzten möchte, sollte man für ein Ende der Besatzung einstehen. Die UNO sollte reformiert/demokratisiert werden (Vetorechte abschaffen) und mit mehr Kompetenzen ausgestattet werden. Es kann doch nicht sein, dass der völkerrechtlich illegale Siedlungsbau im rechtlich verbindlichen UNO Sicherheitsrat im Dezember 2017 einstimmig verurteilt wird (Enthaltung USA) und keine Konsequenzen/Sanktionen folgen.

Das Interview führte Gabi Conrad, Courage-Esslingen.